„Wasserstoff: Energieträger der Zukunft?“

Alle reden nur noch von Wasserstoff – Pascal Gaillot erklärt, warum.

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Deutschland ist auf die Produktion von Gütern spezialisiert. Die drei größten Branchen in Deutschland sind der Fahrzeugbau, der Maschinenbau und die Chemie. Bei allen drei Branchen sind die Herstellprozesse überwiegend vom Einsatz von Erdgas und Öl abhängig – entweder direkt durch Einsatz von Gas oder Öl im Prozess oder indirekt durch Nutzung von elektrischem Strom.
Wir suchen also eine alternative Energiequelle zu Gas und Öl bzw. einen geeigneten Speicher, und das ist nicht so einfach.

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Energiealternativen in der Industrie
Nachhaltige Energiealternativen zu fossilen Brennstoffen – eine komplexe Herausforderung.

Wenn wir von Öl und Gas wegwollen: Welche Energieträger stehen dann noch zur Verfügung?

Bekannte Energieträger wie Diesel, Benzin, Propan, Methan fallen schon einmal weg (Bio-Methan wollen wir hier einmal ausklammern). Ein Grundstoff, der als Energieträger sonst noch reichlich anfällt – und ökologisch gewonnen werden kann, d.h. nicht aus der Rohöl-Schiene kommt – ist: Wasserstoff.

Moment: Im Raum steht ja die Frage, warum nicht gleich alles mit elektrischem Strom betrieben werden soll?

Tja, viele Produktionsanlagen sind nun mal auf die Verwendung von Erdgas oder Erdöl-Produkte ausgelegt. Diese alle zu elektrifizieren, ist nicht nur ein erheblicher finanzieller Aufwand. Die Umrüstung kann auch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Stromspeicherung: Das ungelöste Problem
Ohne adäquate Energiespeicher kann der aus erneuerbaren Energien gewonnene Strom die Industrie nicht zuverlässig versorgen.

Aber technisch wär’s möglich?

Es ist fraglich, ob die entsprechenden technischen Lösungen schon vorhanden sind. Wenn wir über die industrielle Nutzung von elektrischem Strom reden, müssen wir in vielen Fällen auch über Ausfall-Sicherheiten reden: Elektrischer Strom muss in irgendeiner Form zwischengelagert werden, um dann zur Verfügung zu stehen, wenn er gebraucht wird. Das ist genau die „Krux“, mit der wir es bei der Stromerzeugung aus Wind und bei Photovoltaik-Anlagen immer wieder zu tun haben. Also: Grundsätzlich kann der benötigte Strom aus Wind und Solar erzeugt werden, doch industrielle Anlagen brauchen rund um die Uhr zuverlässig Energie. Es muss also geeignete Zwischenspeicher geben.

Was kommt da in Frage?

Da wären: Die Batterien. Die Energiedichte von Batterien liegt derzeit irgendwo zwischen 0,1 und 0,2 kWh/kg. Zum Vergleich: Rohöl hat eine Energiedichte von ca. 11,6 kWh/kg – grob das 50-fache! Die von Wasserstoff liegt bei 33,3 kWh/kg, also grob das 150-fache ! Und ist somit um ein Vielfaches – oder genauer: ein Dreifaches – besser. Dann ist da noch die Energiedichte von Ammoniak: mit 5,4 kWh/kg zwar nur halb so gut wie die von Rohöl, aber dafür kann das Ammoniak den Wasserstoff „grün“ speichern – denn sein Herstellungsprozess kann komplett emissionsfrei gestaltet werden, wenn der benötigte Wasserstoff durch Elektrolyse von Wasser mit Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen wird.

Wasserstoff als Trägermedium ist alternativlos für hohe Energieanforderungen, doch Sicherheitsaspekte erfordern besondere Aufmerksamkeit.

Wir können schon mal festhalten: Momentan ist Wasserstoff sozusagen das „Gelbe vom Ei“. Denn um unsere Prozesse am Laufen halten zu können, brauchen wir ein Gas-förmiges Medium mit ähnlich guter oder besserer Energiedichte als Erdgas oder Öl – und da kommt nur ein Wasserstoff-Träger in Frage.

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Wasserstoff: Unverzichtbar trotz Herausforderungen

Ok, wir kommen also nicht um Wasserstoff herum. Dann reden wir jetzt mal über die Herstellung von Wasserstoff. Wie soll das denn in so riesigen Mengen funktionieren? Und ist das Handling nicht viel gefährlicher als das von Erdgas oder Öl?

In der Tat, prinzipiell ist die Handhabung von Wasserstoff viel gefährlicher. Rohöl, Diesel oder Benzin lassen sich leicht und fast gefahrlos transportieren und sind „nur“ brennbar. Wasserstoff hingegen lässt sich nur mit größter Sorgfalt transportieren. Aus der Schule kennen wir alle noch den „Knallgas-Versuch“, der verdeutlicht, wie gefährlich Wasserstoff sein kann. Aber wir kennen eine Menge Prozesse aus der Chemie, die ebenfalls nicht ungefährlich sind, z.B. die Herstellung von Düngemittel (Sprengstoff) oder Wasserstoff-Peroxid , das in hohen Konzentrationen als Raketentreibstoff genutzt wird. Diese Prozesse haben wir auch unter Kontrolle, und es passiert sehr wenig. Das ist immer eine Frage der Sorgfalt und der geplanten Sicherheit der Prozesse.

Wie funktioniert denn nun die Herstellung von Wasserstoff?

Einige erinnern sich sicherlich noch an den Klassiker aus dem Chemie-Unterricht: das Knallgas-Experiment. Mit Wasser, zwei Elektroden und einer Stromquelle wird die Elektrolyse eingeleitet, bei der das Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten wurde. Der Sauerstoff bildet Blasen an der einen Elektrode und der Wasserstoff an der anderen. Wenn man jetzt ein brennendes Streichholz in die Nähe der Wasserstoffblasen bringt (nur unter sicheren Bedingungen durchzuführen!), reagiert der Wasserstoff mit dem Sauerstoff in der Luft und es kommt zu einer kleinen Explosion mit einem lauten Knall. Daher der Name „Knallgas“.

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Dieses Experiment zeigt nicht nur, wie Wasserstoff hergestellt wird, sondern auch, dass er Energie freisetzt, wenn er verbrennt – und genau das macht ihn als Energiequelle so interessant.

So einfach wie im Chemie-Unterricht klappt die Herstellung von Wasserstoff für die Industrie natürlich nicht – wobei: Die Grundzüge sind die gleichen, lediglich die Anlagen sind größer, komplexer, und die Produktion ist wirtschaftlicher. Je größer die Anlagen sind, desto günstiger ist in der Regel auch die Herstellung.

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Die Erzeugung von Wasserstoff – vorzugsweise „grünem“ Wasserstoff – gelingt aber technisch gesehen genauso, durch Elektrolyse. Hierbei wird dann im großtechnischen Maßstab und mittels „grünem“ Strom – also Strom, der durch Windkraft oder Photovoltaik erzeugt wird – aus handelsüblichem Wasser der Wasserstoff und der Sauerstoff voneinander getrennt und einzeln abgeführt. Der gewonnene Wasserstoff wird entweder in Gas- oder Flüssigform gespeichert oder durch Kompressoren bzw. Verdichterstationen direkt in ein Wasserstoff-Netzwerk eingespeist. Der Sauerstoff wird vorzugsweise gesammelt und als technisches Gas genutzt.

Alternativen zu Wasserstoff
Neben Wasserstoff existieren andere Träger wie grüner Ammoniak oder Methanol –mit eigenen Vor- und Nachteilen.

Gibt es denn zu reinem Wasserstoff keine Alternativen, die ungefährlicher sind?

Es gibt Stoffe, in denen der grüne Wasserstoff ungefährlicher ist, z.B. in Form von grünem Ammoniak. Ammoniak erhalten wir, wenn wir Wasserstoff und Stickstoff zusammenbringen. Oder wir nehmen Methanol, dafür brauchen wir neben Wasserstoff noch CO2. Methanol kann aufgrund des niedrigen Siedepunktes einfacher in flüssiger Form transportiert und verwertet werden als Wasserstoff. Im Vergleich zum extrem entzündbaren Wasserstoff ist die benötigte Mindestzündenergie von Methanol auch deutlich höher. Doch Methanol ist ein giftiger Treibstoff, der bei unsachgemäßer Handhabung ernsthafte gesundheitliche Gefahren mit sich bringen kann.

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Dann gibt es noch die sogenannten eFuels: Darunter fallen alle Arten von Kraftstoffen, die mit Hilfe von erneuerbaren Energien synthetisch hergestellt werden. Grüner Wasserstoff wird mit CO2 aus der Luft zu einem Kohlenwasserstoff und damit zum Grundbaustein von flüssigen Kraftstoffen synthetisiert. Doch eFuels sind in der Herstellung sehr energieintensiv und damit auch teuer, und die Gesamteffizienz muss man zu Recht in Frage stellen.

Worin unterscheiden sich denn die Speicherung in Gas- oder in Flüssigform?

Wasserstoff ist bei 700 bar flüssig, Ammoniak bei 8 bar, Methanol ist bei Raumtemperatur flüssig und kann auch flüssig gelagert und transportiert werden. In flüssigen Zustand ist der Transport bezogen auf das Volumen am effizientesten. Die sichere Lagerung und Transport sind bei wasserstoffhaltigen Energieträgern die entscheidenden Kriterien für die großtechnische Anwendung.

Dann reden wir über Lagerung und Transport …

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Eigentlich können Wasserstoff, Ammoniak, Methanol oder auch eFuels per Pipeline, Schiff, Lkw transportiert und in Tanks zwischengelagert werden. Der Aufwand, sei es der energetische oder physische, ist das, was im Einzelfall bewertet werden muss.  Wie schon erwähnt, ist reiner Wasserstoff bei einem Druck von 700 bar flüssig. Das sind also enorme Drücke, die einen erheblichen technischen und energetischen Einsatz erfordern. Die Lagerung und Verflüssigung von Ammoniak ist dagegen schon erheblich einfacher, auch das Gefahrenpotenzial von Ammoniak ist dann erheblich kleiner. Methanol ist zwar noch einmal um ein Vielfaches leichter zu lagern und zu befördern, dafür aber sehr giftig. Das ist dann auch der Grund, weshalb momentan der Ammoniak oft in den Fokus rückt: Es speichert Wasserstoff, ist leicht zu lagern und zu transportieren und bei Verwendung als „Treibstoff“ entsteht etwas Ungefährliches.

Kürzere Wege für eine grünere Zukunft
Die Optimierung von Transportwegen spielt eine wesentliche Rolle für eine bessere CO2-Bilanz

Wäre es aber nicht sinnvoll, auch den Transport zu begrenzen? Kürzere Transportwege sind doch besser für die CO2-Bilanz, oder nicht?

Ja, das stimmt, zumindest, wenn wir die Supply-Chain isoliert und nicht den gesamten Produktionsprozess betrachten. Prinzipiell gilt aber schon, je kürzer die Transportwege für die Edukte, also für die Ausgangsstoffe inkl. Energiebereitstellung, desto geringer auch der CO2-Footprint des Produktes.

Aber es gibt ja auch immer die Möglichkeit, zwischen zentraler, dezentraler oder hybrider Energieversorgung zu wählen. Zentral wäre dann eher das Prinzip, das wir bislang hatten: über’s Land verteilte Großkraftwerke mit teils sehr langen Versorgungsleitungen (und Energieverlusten) oder Pipeline-Netze. Dezentral wären kleine Insellösungen mit kurzer Anbindung und ausgelegt auf die Bedarfe der Endnutzer. Und „hybrid“ ist eine Mischung aus beiden Systemen. Bislang gab es mehr oder weniger nur das zentrale System, bei dem in Koordination mit unseren europäischen Nachbarn der generelle Strombedarf koordiniert wurde. Wenn wir aber die zahlreichen PV-Anlagen betrachten, hat der Wandel ganz offensichtlich begonnen. Viele Energie-Nutzer werden derzeit auch zu Lieferanten, industrielle Großkunden fangen an, ihren eigenen Energiemix zu gestalten. Als Beispiel hierfür sei die BASF genannt, die einen Windpark in der Nordsee errichten lässt und bald grünen Strom in die Stromnetze einspeist, um dann in Ludwigshafen oder Antwerpen ihren eigenen grünen Strom zu nutzen. Es kommen täglich neue Einspeisestellen hinzu. Das Gleiche passiert auch in der „Wasserstoff-Welt“: Die gewonnene Energie muss zwingend gepuffert – also gespeichert –  werden, denn, energetisch betrachtet,  von der „Hand in den Mund zu leben“ funktioniert in Deutschland nicht.

Wenn wir so viele neue Energie-Lieferanten oder Einspeiser zu erwarten haben: Muss das denn nicht mit den europäischen Nachbarn abgestimmt werden?

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Ja klar, und die Komplexität wird dann erheblich zunehmen. Wenn wir dann noch verantwortungsbewusst mit der Energieherstellung umgehen und nur so viel bereitstellen wollen, wie auch tatsächlich verbraucht wird, wird das nochmal komplexer. Wir brauchen deshalb eine „vorhersehende“ Energieerzeugung bzw. -bereitstellung. Es gibt Systeme, die das können, und Firmen, die hiermit schon Erfahrung gesammelt haben. Es geht im besten Fall um ein System für alles, das im Hintergrund alles regelt.

Letzte Frage: Welche Rolle spielt die Sicherheit im Umgang mit Wasserstoff als Energieträger der Zukunft?

Sicherheitsbedenken sind bei der Handhabung von Wasserstoff nicht zu unterschätzen, doch dank fortschrittlicher Technologien und strenger Sicherheitsvorkehrungen bzw. Handhabungsrichtlinien kann Wasserstoff sicher produziert, transportiert und genutzt werden. Dies macht ihn trotz der Herausforderungen zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Energiewende.

Pascal Gaillot arbeitet für Yokogawa und ist Director Chemical Industry Europe. Pascal war rund 15 Jahre bei international bekannten EPC- und Anlagenbau-Unternehmen als Verkaufsleiter und Angebotsmanager für chemische Prozessanlagen tätig. Von 2018 bis April 2023 arbeitete er als Strategic Account Manager für Global Major Accounts bei einer international tätigen Prüfgesellschaft. Dort absolvierte er unter anderem erfolgreich seine Ausbildung zum SIRI-Assessor sowie zusätzlich eine Ausbildung zum CO2-Auditor. Im Mai 2023 wechselte Pascal zu unserem Regional Headquarter in Amersfoort, Niederlande und ist dort für die Geschäftsentwicklung für unser Segment „Materials“ in Europa zuständig.
pascal.gaillot@yokogawa.com
+49 173 817 0157

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